Das Waldsterben führte zu wichtigen Reformen im Umweltschutz. Verantwortlich dafür war aber eine überzogene Berichterstattung der Massenmedien.
1981 tauchte der Begriff Waldsterben erstmals auf und verbreitete sich dann rasch. Doch schon lange zuvor waren Schäden am Wald bekannt. Denn bereits mit den ersten Siedlungsaktivitäten des Menschen in Europa wurde Wald in Siedlungsraum und Ackerland umgewandelt. Aufgrund der äußerst geringen Anzahl an Menschen bzw. der riesigen Waldfläche wurden diese Entwicklungen aber von den Zeitgenossen nicht als Waldzerstörung gesehen, vielmehr war es positiv, wenn Wälder in Agrarflächen umgewandelt wurden. So hatten viele Klöster im Mittelalter den Auftrag, den Wald „urbar“, also für Vieh und Getreidepflanzen nutzbar zu machen. Außerdem wurden riesige Mengen an Holz benötigt, denn Holz war nicht nur der wichtigste Energieträger sondern auch der Grundbaustoff sowohl für Gebäude als auch für Dinge des täglichen Lebens wie Werkzeuge. Mit der Entdeckung von Kohle als Brennstoff und der beginnenden Industrialisierung verlor Holz zwar zunehmend seine große Bedeutung als Energieträger, dafür kam es aber im 19. Jahrhundert zu den ersten großflächigen Waldschäden, die als „Rauchschäden“ schon seit der Antike bekannt waren. Besondere Verheerungen an der Vegetation richteten Hüttenbetriebe durch das Rösten von Erzen an. In der Umgebung solcher Hütten entstanden sogenannte Rauchblössen: die gesamte Vegetation im Umfeld starb ab, Umweltschutz und Grenzwerte waren damals unbekannt. Weniger spektakulär, dafür aber weit verbreitet waren die Schäden, die Abgase aus der Verbrennung von Braunkohle und Steinkohle verschuldeten. Wenig überraschend gab es die größten Schäden in den ersten Ballungszentren, in denen sich nach und nach Industriebetriebe ansiedelten und heranwuchsen. Besonders betroffen waren damals in Mitteleuropa das Erzgebirge, das Ruhrgebiet sowie die böhmischen und südösterreichischen Industriegebiete.
Noch bevor es zur Waldsterbensdiskussion kam, wurde Ende der 1970er Jahre von lichten Kronen und kurzen Nadeln berichtet. Neben der Industrie kam nämlich seit Anfang der 1950er Jahre ein zweiter, ständig wachsender Emittent von Abgasen hinzu: der Verkehr. Die steigende Anzahl an Automobilen führte dazu, dass nun auch Stickoxide in die Luft eindrangen. Innerhalb von nur 40 Jahren stieg die jährliche Emission von Stickoxiden in der BRD von 500 Kilotonnen auf über 2.500 Kilotonnen an.
Tote Bäume und das Waldsterben
Nach und nach entwickelte sich eine Umweltbewegung, denn immer mehr Menschen bemerkten die absterbenden Bäume. Vor allem in forstlichen Fachkreisen begann die Diskussion über das Tannensterben. In den Medien gab es bis dahin aber nur sporadische Berichte. Das änderte sich aber im Herbst 1981, als erstmal ein großflächiges Waldsterben und eine ökologische Katastrophe vorhergesagt wurde. Das war die Geburtsstunde des Medienbegriffs Waldsterben. Die Zeitschriften Stern (Ausgabe 40/1981) und Der Spiegel (Ausgabe 47 – 49/1981) sorgten für die Verbreitung des Begriffes des Waldsterbens. Der Spiegel berichtete in einer über 3 Ausgaben dauernden Serie von einer weltweiten Umweltkatastrophe von unvorstellbarem Ausmaß. Auch wenn sich die Medien teilweise auf Aussagen von Fachleuten beriefen, so war schon zu Beginn der Waldsterbensdiskussion die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben. Keinesfalls sollen hier die verheerenden Rauchschäden verharmlost werden. Aber wir erinnern uns: von der mitteleuropäischen Gesamtwaldfläche von etwa 18 Millionen ha waren 120.000 ha betroffen!!
Waldsterben: Das Medienereignis
Interessant ist auch, dass seit Jahrhunderten Rauchschäden bekannt waren und namhafte Fachleute schon in den 1960er Jahren vehement vor den Folgen gewarnt haben, diese aber praktisch ungehört blieben, sowohl bei den politischen Verantwortlichen als auch in der öffentlichen Diskussion. Doch 1981 kam es zu einer Trendwende: Lief die Berichterstattung 1981 noch langsam, nahm sie ab 1983 sprunghaft zu und fand in diesem Jahr seinen Höhepunkt. In den folgenden beiden Jahren ebbte das Medieninteresse ab, und mit dem Reaktorunfall 1986 in Tschernobyl fand das Waldsterben sein mediales Ende. Die Medienlandschaft hatte eine neue „Sensation“, mit der die Titelseiten Aufmerksamkeit bei den Lesern erhaschen konnten. Zu kritisieren ist die Qualität der Berichterstattung, insbesondere die Prognosen diverser Horrorszenarien. Da war unter anderem die Rede davon, dass es bereits in 20 Jahren keinen Wald mehr geben würde, manche Medien gingen sogar soweit zu behaupten, dass es bis zum Jahr 2000 in Mitteleuropa keinen Baum mehr gäbe (!!!). Als Beispiel sollen hier einige Schlagzeilen genannt werden:
„Wer den Wald liebt, kann nur noch beten“
„Schauen Sie sich ihn nochmal an bevor es ihn (den Wald) nicht mehr gibt“
„Der Wald stirbt jetzt überall“
„Wir stehen vor einem ökologischem Hiroshima“
Rudolf Holzberger hat in seinem Buch „Das war dann also das Waldsterben“ die Berichterstattung der Medien analysiert und findet für die damalige „Qualität der Berichterstattung“ – auch bei renommierten Medien wie etwa dem Spiegel – reichlich Kritikpunkte.
Ab 1988 kam es dann innerhalb der Medien zur Trendwende: während einige Journalisten weiterhin hartnäckig am Waldsterben festhielten, stellten andere das Waldsterben mehr und mehr in Frage, bis zu dem Punkt, wo Schäden am Wald – und die gab es zweifelos und nicht nur in den bekannten Rauchschadensgebieten – überhaupt gänzlich bezweifelt wurden. Die Medien vertraten also zwei Extrempunkte: Zwischen der totalen Vernichtung des Waldes und einem gesunden, deutschen Walde blieb kein Platz für andere Meinungen – und auch nicht für die Realität. Natürlich war die breite Öffentlichkeit verwirrt. Dabei bemühten sich die Experten um Aufklärung: Bereits 1983 richteten 132 (!) Angehörige von forstlichen Forschungsinstiutionen einen Aufruf an die Bundesregierung und an die Bürger unter dem Titel „Gefährdung der Wälder durch Luftverunreinigung“, wodurch in weiterer Folge der immer noch gebräuchliche Begriff in der Fachwelt der „neuartigen Waldschäden“ geprägt worden war. Den Begriff „Waldsterben“ lehnte der Großteil der Experten ab.
So aber nicht die Medienvertreter. Medien leben davon, Aufmerksamkeit zu erlangen und daher kommt es häufig dazu, dass Fakten vereinfacht werden oder übertrieben. Daher erscheint es nur logisch, dass die „Gefährdung der Wälder durch Luftverunreinigung“ es kaum auf die Titelblätter schaffte, vor allem nicht wenn Waldsterben viel attraktiver klingt, für den Verkauf am Zeitungskiosk wohlgemerkt.
Es sei aber auch erwähnt, dass die Waldsterbensdiskussion etwas Gutes hatte, nämlich konkret die Verordnung über Großfeueranlagen vom Juni 1983. Sie erzwang eine rasche und starke Drosselung der Emission von Schwefeldioxid. Großfeueranlagen mussten innerhalb von 5 Jahren entschwefelt werden – oder stillgelegt. Die Ergebnisse waren relativ rasch bemerkbar, etwa im Schwefelgehalt von Fichtennadeln. Bemerkenswert ist, dass diese Verordnung beschlossen wurde obwohl es massive Proteste der Industrieverbände gab. In Ostdeutschland wurde die Emission von Schwefeldioxid erst nach der Wende in den 90er Jahren reduziert, wobei die rasche Reduzierung unter anderem auch deshalb gelang, weil viele Industriebetriebe mangels Rentabilität geschlossen wurden. In Österreich und der Schweiz hingegen sanken die Emissionswerte bereits Anfang der 80er Jahre. 2001 führte die EU einen Grenzwert zum Schutz von Ökosystemen ein, der seither deutlich unterschritten wird. Experten wie Bernard Ulrich von der Universität Göttingen und Peter Schütt von der TU München, die in zahlreichen Publikationen vor flächenhaften Rauchschäden in den Wäldern warnten, wurde dann vorgeworfen sie hätten unseriöse Prognosen verbreitet. Im Gegensatz zu vielen Medien sprachen diese beiden Wissenschaftler aber nie davon, dass in wenigen Jahren der komplette Waldbestand verschwunden wäre. Vielmehr sahen die beiden aus ihrer jahrelangen Erfahrung wie schwer Emissionen Wälder schädigen können und warnten vor dem was kommen könnte, wenn der jahrzehntelange Trend steigender Emissionen weiter fortgesetzt werden würde.
Wir erinnern uns: Allein von 1940 bis 1980 stiegen die Schwefeldioxidemissionen um 25 % an. Erst im Zuge der Diskussion um die neuartigen Waldschäden wurde die Trendwende geschafft und die Emissionen sanken bis Mitte der 90er Jahre um 85 %.
Was blieb also vom Waldsterben?
Zunächst einmal die Tatsache, dass es kein Waldsterben gab, da Wälder als Ökosysteme nicht sterben können, sondern nur die Lebewesen, die in einem Ökosystem leben. Natürlich ist ein Wald in dem ein Großteil der Bäume abstirbt gefährdet. Im Falle der Rauchschäden stellt sich auch die Frage, ob sich die Wälder überhaupt regenerieren hätten können, wenn weiterhin Emissionen nicht nur die Blätter der Bäume, sondern noch viel gravierender, den Waldboden geschädigt hätten. Trotzdem war die Fläche der geschädigten Wälder überschaubar und konzentrierte sich vor allem auf die Industriegebiete Mitteleuropas. Denn auch wenn die Wälder zb im Harz katastrophal geschädigt waren, so gab es etwa im beschaulichen Schleswig-Holstein keine nennenswerten Schäden und die Buchenwälder zwischen Nord- und Ostsee zeigten kräftiges Grün. Genauso wie es aber falsch gewesen wäre anhand des Waldzustandes in Schleswig-Holstein davon zu sprechen das es keinerlei Waldschäden gab, war es falsch ein großflächiges Waldsterben für ganz Mitteleuropa zu prognostizieren.
Diese journalistische Verfehlung muss man den damals verantwortlichen Medienvertretern zum Vorwurf machen, da sie nicht Tatsachen berichteten, sondern nach dem Motto „Was wäre wenn“ Horrorszenarien publizierten, die nicht nur die Öffentlichkeit verwirrte, sondern eine seriöse öffentliche Diskussion praktisch unmöglich machte. Es gibt Stimmen, die meinen ohne die überzogene Berichterstattung der Medien wären die notwendigen politischen Reformen nicht möglich gewesen. Demokratiepolitisch wäre es aber höchst bedenklich, wenn Politiker sich an Schlagzeilen und nicht an Tatsachen bei ihren Entscheidungen orientieren, denn es ist schon schlimm genug, wenn die sogenannte vierte Macht Berichte veröffentlicht, die sich nicht an der Realität orientieren, sondern an der Höhe der Auflage.